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Was macht eigentlich ein UX-Designer?

Heutzutage versteht man gewisse Funktionen und Arbeitstitel kaum noch.

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Was macht eigentlich ein UX-Designer?

Heutzutage versteht man gewisse Funktionen und Arbeitstitel kaum noch. Jeder hat eine englische Berufsbezeichnung und man fragt sich, was diese Person denn eigentlich genau arbeitet. Wenn mich jemand fragt, was mein Beruf ist, sage ich meistens «Webdesignerin». Darunter kann sich mein Gegenüber etwas vorstellen. Wenn ich aber die Wahrheit sage, nämlich, dass ich «UX-Designerin» bin, bekomme ich mehrheitlich verwirrte Gesichter zu sehen. Nun möchte ich Ihnen erklären, was es mit «UX-Design» genau auf sich hat.

Was ist Design?

Als erstes müssen wir klären, was «Design» genau bedeutet und was nicht: Design ist keine Eigenschaft, die einem Produkt als ästhetisches Extra hinzugefügt werden kann. Design ist auch keine Eigenschaft, die ein bestimmtes Produkt hat, ein anderes wiederum nicht. Design ist vielmehr ein geplanter und umfassender Prozess, der durch mehrere Personen und in mehreren Arbeitsschritten realisiert wird. Die Funktion bildet dabei einen zentralen Aspekt des Designs. Denn Gegenstände sollten im Idealfall benutzt und nicht nur betrachtet werden.

Die beiden wichtigsten Charaktereigenschaften von Design sind Erkennbarkeit und Verständlichkeit.

Erkennbarkeit: Ist es überhaupt möglich herauszufinden, welche Aktionen möglich sind und wo und wie man diese durchführen kann?
Verständlichkeit: Was hat all dies zu bedeuten? Wie soll dieses Produkt benutzt werden? Was bedeuten all die verschiedenen Bedienelemente und Einstellungen?
(Quelle: The Design Of Everyday Things, Dan Norman)

Ein Beispiel: Uns ist bekannt, dass Türen zwei Endzustände haben können: offen und geschlossen. Also sollten wir wissen, ob wir schieben, ziehen oder drücken müssen. Knöpfe, Griffe, Riegel, Stangen und Schienen geben uns ihre eigenen Hinweise zur Verwendung.

«Um diese Tür zu öffnen, hätte ich ziehen sollen.», denken Sie. «Dass die Tür jetzt noch immer geschlossen ist, ist meine Schuld.» Falsch. Es ist nicht Ihre Schuld. Die Tür hat Ihnen gesagt, dass Sie drücken sollen. Und dass, obwohl sie zum Ziehen gebaut wurde. Selbstbeschuldigung ist ein häufiges Zeichen für schlechtes Design. Denken Sie daran, sich keine Vorwürfe zu machen, wenn Sie nicht herausfinden können, wie Sie eine «grundlegende» Aktion ausführen sollen.

Doch woher wissen sie, dass etwas schlecht designt ist? Ganz einfach: Wenn es Ihnen schwer fällt das Produkt zu benutzen. Wenn wir diese Aussage verallgemeinern, ist jedes Produkt, das einen Benutzer verwirrt, schwierig zu bedienen oder funktioniert nicht intuitiv. Das nennt man «schlechtes Design».

Was ist denn nun UX-Design?

In meinem Alltag geht es nicht um Türen, sondern um digitale Services. Ich befasse mich mit der Interaktion zwischen Mensch und Maschine, mit der Interaktion zwischen den Benutzern und den Inhalten eines digitalen Services. Die User Experience ist dabei die Wahrnehmung und Reaktion einer Person, die aus der Benutzung eines Produkts, eines Systems oder einer Dienstleistung resultiert.

Am Ende einer Erfahrung bleibt nur eine Erinnerung. Erinnerungen sind selten richtig. Erinnerungen sind bruchstückhaft, d.h. wir erinnern uns nur an einzelne Ereignisse aus einer Sequenz. Je nach Erfolg der Erfahrung, ist die Erinnerung positiv oder negativ.

Im Web können wir uns besonders gut an den Anfang z.B. die Auffindbarkeit einer Website oder den Einstieg in ein digitales Produkt erinnern. Ebenso erinnern wir uns an unsere Emotionen in den verschiedenen Sequenzen, wie zum Beispiel an Dinge, die nicht so funktioniert haben, wie wir es erwartet haben (egal ob positiv oder negativ). Wir erinnern uns auch an das Ende einer Erfahrung, im Web wäre das z.B. die Bestätigung der Lieferung.

Bei einer Produkteinführung führen wir UX-Designer mit Test-Benutzern Usability Tests durch. Dabei spielen wir die wichtigsten Use-Cases von Anfang bis Ende mit echten Benutzern durch. Nur so erfahren wir, wie die Anwender ein Produkt oder eine Website wahrnehmen, wie sie handeln und welche Erinnerung sie schlussendlich daran haben. Denn jede noch so kleine Hürde kann diese Erinnerung ruinieren. Deshalb ist es wichtig, dass man seine Zielgruppe kennt und deren Bedürfnisse und deren Verhalten in den Mittelpunkt stellt. Das Geheimnis eines erfolgreichen Design-Produktes besteht darin, das eigentliche Problem zu verstehen. Man muss die richtigen Fragen stellen, um das effektive Problem herauszufinden. Fragen Sie nicht den Nutzer, was er haben möchte. Die besten Marken sind nämlich diejenigen, die etwas für Verbraucher schaffen, von dem sie noch nicht einmal wussten, dass sie es brauchen.

«Es ist schwer, Produkte für Zielgruppen zu entwerfen.
Meistens wissen die Leute nicht, was sie wollen, bis man es ihnen zeigt.»

Steve Jobs, 1998, Business Week

Oder wussten Sie im Jahr 2000 bereits, dass Sie ein Smartphone brauchen würden? Bei der Präsentation des ersten iPhones sagte Steve Jobs: «Today, Apple reinvents the phone.» Das Publikum hat diesen Satz bejubelt und heute wissen wir: Er war keineswegs übertrieben. Denn wie alle bahnbrechenden Entwicklungen war das iPhone nicht einfach nur eine Weiterentwicklung, die bestehende Bedürfnisse besser erfüllte, als vorangegangene Produkte. Vor allem hat dieses Gerät Bedürfnisse erzeugt und gestillt, die zuvor überhaupt nicht existierten. Das iPhone hat nicht nur eine Marktlücke geschlossen, es hat einen ganz neuen Markt geschaffen.

Wie konzipiert und gestaltet man einen digitalen Service?

Die Anforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten digitaler Services erfordern einen komplexen, multidisziplinären Prozess, der Bedürfnisse und das Verhalten des Nutzers in den Mittelpunkt stellt. Dabei sollte das Mindset immer sein «… wir werden die Lösung für das richtige Problem gestalten» und nicht «… ich mache ein hübsches Design». Um einen digitalen Service konzipieren und gestalten zu können, gibt es verschiedene Hilfsmittel und Methoden. Eine davon ist Design Thinking.

Der Design-Thinking-Prozess gliedert sich in eine Abfolge von mehreren, aufeinander abgestimmte Arbeitsschritte oder auch Prozesse. Am Ende dieser Arbeitsschritte steht ein funktionierendes Ergebnis, das eine brauchbare und manchmal auch überraschende Lösung darstellt.

Die sechs Schritte des Design-Thinking-Prozesses

Verstehen
In diesem Schritt wird die Aufgabenstellung beschrieben und das Problem definiert. Dieser Schritt gilt als wichtigster im gesamten Design-Thinking-Prozess. Fehler, die hier gemacht werden, wirken sich auf den gesamten Prozess aus und können so zu Zeitverzögerungen und unnötiger Mehrarbeit führen.

Beobachten
Bei der Beobachtungsphase geht es darum, dass man als UX-Designer möglichst schnell zum Experten für die jeweilige Aufgabe wird. In diesem Schritt ist man als UX-Designer gleichzeitig Journalist und Detektiv. Das ist aber nur der Einstieg: Die eigentliche Arbeit des Beobachtens beginnt erst im direkten Kontakt mit dem zukünftigen Anwender, Nutzer oder Kunden der beabsichtigten Lösung. Man befragt die Zielgruppe hinsichtlich ihrer Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen und Verhaltensweisen.

Standpunkt definieren
In diesem Schritt wertet man die gesammelten Erkenntnisse aus, interpretiert und gewichtet sie. Der UX-Designer entscheidet, ob weitere Informationen notwendig sind, um den Design-Thinking­-Prozess voranzutreiben. Eine häufig verwendete Methode, um den Standpunkt gemeinsam definieren zu können, ist der Entwurf einer fiktiven Person, der sogenannten «Persona» (Nutzerprofil). Für diese Persona wird der digitale Service entwickelt. In dieser Phase ist es wichtig, die Spreu vom Weizen zu trennen, also relevante von irrelevanten Fakten zu unterscheiden.

Ideen finden
In relativ kurzer Zeit wird hier eine Vielzahl von Ideen produziert. Üblicherweise verwendet der UX-Designer hierzu die Brainstorming-Methode. Wichtig ist zunächst, möglichst viele Ideen zu entwickeln, die eine Lösung beinhalten oder beschreiben. Durch Mehrheitsbeschluss werden die besten Ideen ausgewählt und eventuell ausgearbeitet. Nun verfügt man über Ideen, die als Prototypen entwickelt werden können.

Prototypen entwickeln
Beim Prototyping geht es darum, Ideen möglichst früh sichtbar und kommunizierbar zu machen. So können Anwender sie testen oder sind zumindest in der Lage, ein Feedback zu geben. Letztendlich ist es elementar, Ideen sichtbar und erlebbar zu machen. Nur dann kann der UX-Designer seine Prototypen in die nächste Phase des Testens geben.

Testen
Wichtig beim Testen ist, dass der Nutzer tatsächlich versteht, worum es geht und wie es geht. Aber auch der Designer muss erkennen, wie der Nutzer mit einem Prototyp tatsächlich umgeht. Das Ziel des Tests ist, die Stärken und Schwächen einer Idee kennenzulernen und die Richtung für die weitere Entwicklung festzulegen.

Die Methode Design Thinking kann in allen Lebensbereichen angewendet werden. Und auch Sie können zum Design-Thinker werden. Stört Sie, wie z.B. die Bustafeln angeschrieben sind? Versuchen Sie doch mit dem Design-Thinking-Prozess, das Problem zu finden und eine mögliche Lösung zu schaffen.

Jeder Mensch kann seine Kreativität nutzen. Beginnen auch Sie damit.

Autorin: Linda Hodel | 21.04.2020